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Lebenslauf

Pianist Daniel Fritzen

Lebenslauf mal anders – die Abenteuergeschichte einer persönlichen
Entdeckungsreise

Ich bin 1978 in
Hofheim am Taunus geboren. Schon als Kind zogen mich Klaviere magisch an. Meine
Seele hatte eine Affinität zu diesem Instrument und suchte nach intimem
Gefühlskontakt mit seinem Klang, um Regionen des eigenen Innenlebens
auszudrücken, für die es keine Worte gibt.

Ich wurde nie als Wunderkind
gehypt, aber ich erinnere mich an zwei Aspekte meines Klavierlernens, die ich
rückblickend als Wunderkindaspekte sehen könnte, obwohl sie mir damals völlig
selbstverständlich erschienen: Bevor ich ein Klavier hatte, hatte ich ein
Glockenspiel (Xylophon), auf dem ich bald begann, experimentell Lieder in
verschiedenen Tonarten zu spielen. Ich beschwerte mich bei meinen Eltern: „Dazu
fehlen ja Töne“, und zu Weihnachten bekam ich ein chromatisches Glockenspiel,
auf dem ich nun Lieder transponieren konnte. Die zweite Erinnerung: Ich liebte
mit 8 Jahren eine Schallplatte mit einem Oboen- und einem Fagottkonzert von
Vivaldi. Ich sagte mir „mal schauen, ob ich rausfinde, in welchen Tonarten die
sind“. Ich schloss die Augen und befand beim Oboenkonzert: „Es klingt nach
a-moll“ und beim Fagottkonzert: „Klingt nach e-moll“. Ich schaute auf die Hülle
der Schallplatte und merkte, dass ich richtig lag. Die nächsten Jahre meiner
Entdeckung des Klaviers waren davon geprägt, dass ich die Vivaldi-Konzerte nach
dem Gehör auf dem Klavier nachspielte – zunächst nur Oberstimme und Bass,
später hörte ich immer mehr Mittelstimmen korrekt heraus.

Ich hatte das Glück,
eine Klavierlehrerin an der Musikschule Hofheim zu haben, die mir alle
Freiheiten ließ, das Klavier auf diese ungewöhnliche, mir eigene Art zu
entdecken. Wenn ich im Musikunterricht in der Schule etwas vorspielte, war der
Lehrer irritiert, wenn ich wie selbstverständlich sagte: „ich spiele von
Vivaldi das Konzert für Oboe und Orchester“.

In der Pubertät verliebte
ich mich in die Klaviermusik der Romantik, die ich mir auch zunächst nach dem
Gehör erschloss, bevor ich die Noten kaufte und dann auch das Blattspielen
trainierte. Im Alter von 15 spielte ich Balladen von Chopin und Rhapsodien von
Liszt, ohne je eine fundierte technische Ausbildung gehabt zu haben. Meine
Technik war absoluter Freistil. Das Ergebnis: Ich konnte die Musik nicht so
spielen, wie ich sie innerlich hörte, und die hilflosen Versuche, es
hinzukriegen, verkrampften mich unendlich, so dass mein Spiel ein großer Krampf
war.

Abhilfe kam, als ich
in diesem Alter mit Privatstunden bei Karl-Heinz Kämmerling in Hannover begann.
Er baute ein stabiles technisches Fundament mit mir auf, und seine Art, über
Musik zu reden, flöste in uns Kindern ein heiliges Gefühl einer größeren
Sinnhaftigkeit ein, dass uns in diesem Alter unendlich guttat. Viele von uns
begabten Klavierspieler*innen waren in der Schule Außenseiter, und die
einwöchigen Klavierkurse bei Kämmerling, die über das Jahr verteilt
stattfanden, waren wie freudige Zusammentreffen einer gleichgesinnten Familie.
Zu Kämmerling hingebracht hatte mich übrigens auch eine kindlich-naive Kette
von Überlegungen: Ich war Fan von Arturo-Benedetti-Michelangelis
Videoeinspielung von Debussys Préludes Band I geworden. Er beflügelte meine
Klangsuche nach außerordentlichen Klängen. Im Ohr klang mir auch die Aussage
meiner Klavierlehrerin, Michelangeli hätte so einen „besonderen Anschlag“.
Dieser Ausdruck arbeitete in mir. Beim Wettbewerb Jugend Musiziert hörte ich dann
den Kämmerling-Schüler Konrad Maria Engel, über den meine Mutter dann sagte, er
hätte einen besonderen Anschlag. Meine Lehrerin sagte: „Ach der ist doch beim
Kämmerling“. Als ich später in der Neuen Musikzeitung eine Ausschreibung eines
Kurses von Kämmerling sah, kombinierte ich deshalb „da muss ich hin, da lerne
ich einen besonderen Anschlag, also lerne ich da, Debussy so zu spielen wie
Arturo Benedetti Michelangeli“. Kämmerling war entsetzt von meiner
Freistil-Klaviertechnik, die weder Hand noch Fuß hatte, aber er war
„fasziniert“, wie schnell ich seine Anregungen umsetzte, deshalb erklärte er
sich bereit, mich als Privatschüler anzunehmen.

Als ich angeregt durch
Kämmerling im Alter von 17 verstand, dass ich ein einzelnes Klavierstück im
Laufe meines Lebens immer wieder anders spielen würde, erblickte ich einen Sinn
des Lebens in dieser ständigen Weiterentwicklung. Vor allem faszinierte mich
die Parallelität in der Entwicklung meines Klavierspiels und meiner
persönlichen Entwicklung als Mensch. Trotzdem bewegte mich noch die Frage, ob
ich Klavier – eine brotlose Kunst – studieren solle, oder lieber Informatik
oder Chemie, wofür ich mich ebenfalls autodidaktisch begeisterte. Mit
PC-Programmierung oder als Chemiker wäre ich finanziell gut abgesichert. Aber ich
fühlte, dass es mich unglücklich und unerfüllt lassen würde, das Klavier auf
den zweiten Platz im Leben zu degradieren. Ich wusste: Wenn ich nicht alles
dafür tue, mein Klavierspiel auf dem mir bestmöglichen Niveau zu halten, würde
ich mich fühlen, als würde ich mein Leben verfehlen.

In der Zeit dieser
Entscheidung brach für mich eine Welt zusammen, als Kämmerling mir sagte, er
nehme keine Studenten mehr, weil er sich zurückziehen wolle. Rückblickend aber
bin ich froh, dass ich bei meinem Studium in Lübeck bei Konstanze Eickhorst und
Konrad Elser noch mal neue Welten auftaten, die mein Klavierspiel ganz anders
bereicherten. In Lübeck fing ein neues Leben für mich an. Pianistisch hatte ich
noch nicht das größte Zutrauen zu mir, und es tat mir gut, dass Frau Eickhorsts
technischer Fokus auf Handgelenksbewegungen mich weiter entkrampfte und Elsers
Anschlagsstrategien meine Klangpalette auf kreative Art und Weise bereicherte.
Beim Aufbaustudium in Los Angeles bei Vitaly Margulis lernte ich wiederum eine
ganz andere Ästhetik kennen, wie man das Klavier „anfasst“. Margulis war da
schon so alt und weise, dass seine Erwartungen an Leistungen äußerst entspannt
waren. Ihm ging es nur noch um das Wesentliche in der Musik, und darin
bestärkte er mich und mein Selbstwertgefühl ungemein. Er brachte mich zu mir
selber und zeigte mir eine sehr sinnlich betonte Klaviertechnik der
anschmiegsamen Tastenberührungen, die einfach nur das Gefühl fließen lässt.

Es sollte bis zu
meinem 35. Lebensjahr dauern, bis ich alle technischen Anregungen meiner so
verschiedenen Lehrer*innen zu einer Kombination vereinte, die mir das Gefühl
gaben, nun eine funktionierende Technik zu haben, mit der ich musikalisch alles
machen kann, was ich will. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass meine Technik
so verlässlich ist, dass ich sie vergessen kann und einfach spielen kann.

Der Spagat zwischen
künstlerischer Berufung und Geldverdienen blieb zunächst die zentrale
Herausforderung in meinem Leben, aber immer wieder, wenn ich mich in Nebenjobs
verausgabte, brach das Bedürfnis, Klavier zu spielen, mit solcher Kraft auf
meinem Inneren hervor, dass ich mehr und mehr fühlte, keine Kompromisse machen
zu können. Diese Entscheidung und Grundhaltung hat mich bisher durch das Leben
getragen, so dass sich immer wieder Lösungen zeigten und es funktionierte, ohne
dass ich so recht verstand wie und warum. Aber heute kann ich stolz und im
Einklang mit mir sagen: Ich bereue nichts. Ich bin mir und meinem Talent treu
geblieben.