Über den Inhalt
Das Buch handelt von einem Antihelden namens Achim Strehlitz,
der sich aus Unsicherheit in immer mehr Probleme hineinlügt.
Um seine so entstandene Beziehung zu retten, muss er das
Lebenswerk eines Schundromanschreibers in das Literaturarchiv seiner
Akademie aufnehmen. Dabei ist er auf ein vordigitales Zeitalter und auf
den Stumpfsinn einer nunmehr von der Kultur abgeschnittenen Bevölkerung
zurückgeworfen.
Kurzauszug
„Das Ende“, erkläre ich, „hatte man sich
immer ganz anders vorgestellt. Klimawandel, Weltkrieg, nukleare
Katastrophe oder was dergleichen – eine Apokalypse eben wie sie im Buche
steht, etwas Großes halt.“ Ich blase einen Kringel Rauch ins Separee,
der sogleich verfliegt. Sie sucht noch immer zwischen den Klamotten, die
am Boden liegen. „Aber dann“, führ ich weiter aus, „was war das für ein
lächerlicher Vorgang: ein Anachronismus. Wir sind buchstäblich aus der
Zeit gefallen, meine Liebe. Buchstäblich sind wir aus der Zeit
herausgefallen. Und das ist alles nur passiert, weil man meinte, die
Weltzeit wieder mit der Ekliptik abgleichen zu müssen, und zwar durch
das Hochladen einer einzigen Schaltsekunde – eine einzige Schaltsekunde
in das Internet und in alle Rechner dieser Welt.“
Kleine Leseprobe – Kapitel 1 (Auszug)
„Strehlitz heiß ich, Achim Strehlitz“, brülle ich in ihr Gesicht. Ich
glaub ja nicht mal, dass sie das wirklich wissen will, doch sie hatte
mich gefragt. Die Bigband schmettert Jazz, epileptisch geradezu. Ein
Jitterbug und alles fliegt. Sie schreit irgendwas. Ich gröl zurück: „Du
bist doch sicherlich noch keine 18!“
„Im Pass steht’s aber anders“, lügt sie. Saxophone tremolieren,
schrillen. Was mach ich nur? Was mach ich nur? – Alkohol und Zigaretten
tun ihr Übriges, während ich versuch, dagegen anzudenken. Nach außen
rausch ich wie die anderen. Gestanztes Licht. „Guck mal“, rufe ich ihr
zu, „da oben sitzen sicher zehn bis zwölf Beleuchter.“ Sie tanzt. Ich
deute ins Gestänge über dem Parkett: „Die haben sogar einen, der
stroboskopisch die Lamellen vor ’nem Fackelkasten klappt – oder ob das
noch elektrisch is‘ ?“
Wie lächerlich. Ich könnte ja ihr Vater sein. (Interessieren tut sie
das alles nicht.) Und dann fang ich ausgerechnet von der Epoche an, die
sie wahrscheinlich nur noch aus Geschichten kennt. Strom ist ja
buchstäblich so was von out. Die manuelle Beherrschung der
Beleuchtung gleicht da einem Kunstwerk, aber Verständnis hat sie dafür
nicht. Eine Partitur der Lichter: jede Lampe wie ein Instrument in
handwerklich perfekter Choreographie. Sie ist halt damit aufgewachsen,
schätzt in der Gewohnheit nicht, was es bedeutet, einen solchen Aufwand
zu betreiben. Dabei müsste sie es wissen – grade sie bei ihrem Job.
Gut sechzig Körper zappeln im akustischen Vier-Fünftel. Was wir
‚tanzen‘ nennen, treibt mich an den Rand vom Holzparkett. Sie nimmt das
als Offerte wahr. Ja, offensichtlich meint sie, dass dies das Zeichen
sei, sich nun in einen der Privatbereiche zu verdrücken. Sie folgt mir
auf dem Fuße – langsam, denn um uns stürzt die Menschenwand. Und vor mir
in dem Schummerleuchten, das von den Tischen in den Barraum glimmt,
steht Neupert – ausgerechnet Neupert. Die Kerzen flackern ihm in sein
Gesicht, beschneiden die Konturen seiner dicklichen Gestalt. Er brüllt
mich an, ich solle „so einen!“ trinken, dabei schnippt er mit dem Finger
an sein Cocktailglas. Die Kollegen haben ihn nur deshalb mitgenommen,
weil er das System entwickelt hat, das sie benutzt haben, um diskret zu
dem Event hier einzuladen. Simpel, dennoch nicht genial. Es hatte damals
alles damit angefangen, dass Neupert eine Nachricht auf dem
Schreibtisch eines Mitarbeiters hinterlassen hat. Belangloses
selbstverständlich. Zwei Wochen später hatten sie dann alle kleine
Zettelkästen auf den Tischen. Wie praktisch das doch sei. Dabei dient
inzwischen nur noch jede zehnte Nachricht auch der Arbeit. Die Übrigen
behandeln Nonsens und Gelaber, woraus auch die Idee zu diesem ‚Ausflug‘
hier nach Amsterdam entstanden ist.
Neupert hebt sein Glas noch höher, deutet mit gespitztem Finger auf
dasselbe, während er mit seinem Mund dazu gebärdisch stumm die Worte
mimt. Ich schaue weg, tue so, als ob ich ihn nicht seh, und dreh mich
auf dem Absatz um. Da steht sie wieder vor mir (sehr viel nackte Haut)
und hinter ihr die Biomasse, die sich in den Soundbrei rührt. „Weißt
du“, brülle ich, „privat bin ich ja ganz anders.“
„Aha.“
Interessieren tut sie das noch immer nicht. Und ich mach mich wieder
lächerlich, denn privater als an diesem Ort kann man wohl kaum sein. Ich
lächel, tanze. Mein ganzer Körper lügt. Ich muss, wenn ich den Kollegen
gegenüber nicht verdächtig scheinen will. Letztlich haben wir eine
Komplizenschaft zu teilen, was die Verwendung jener Mittel betrifft,
welche die Akademie hier in unsere Weiterbildung investiert. „Meine
Abteilung“, versuche ich es mit der Wahrheit, „keilt den gesamten
Achilleus Tatios in Ton!“ Da macht sie große Augen. „Jedenfalls
beeindruckt man wieder mit Schrift, wa‘ !?“, füg ich noch hinzu. Und
dann wird mir wieder klar, wie jung sie ist. Sie strahlt: „Komm, ich
zeig dir was!“